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Wie menschlich ist Social Media?

Vor einiger Zeit durfte ich zu Gast sein in einer Podcast-Folge im Digitalen Turmzimmer der Social-Media-Agentur Somengo aus Jena. Das Thema: "Wie menschlich ist Social Media?" Wer die Folge mit Johannes Brott und mir nachhören will, findet sie hier: https://anchor.fm/turmzimmer/episodes/Wie-menschlich-ist-Social-Media----mit-Helga-Trlenberg-ekqd2n

Einen Teil des Inhalts der Folge habe ich jetzt zu einem Diskussionsbeitrag zusammengefasst.

Was verstehen Sie eigentlich unter Menschlichkeit?

Freundliches Verhalten, Solidarität, Respekt? Normalerweise wird genau das unter Menschlichkeit oder auch Humanität verstanden. Zur Menschlichkeit gehören zum Beispiel Mitleid, Nächstenliebe, Güte, Milde, Toleranz, Wohlwollen, Hilfsbereitschaft – so das allgemeine Verständnis.

Aber ist nicht Menschlichkeit alles das, was zu uns Menschen gehört, was uns beschreibt, was uns als Menschen letztendlich ausmacht. Das sind dann nicht nur die guten Verhaltensweisen, bei denen sich die meisten Menschen einig sind: Das ist Menschlichkeit. Für mich gehört zum Menschsein auch die Schattenseite, das, was wir nicht so gerne ansehen, z.B. Rücksichtslosigkeit, Hass, Härte, Radikalität, Egoismus.

Das klingt jetzt vielleicht überraschend. Etwas menschlich finden, heißt noch nicht, ein Verhalten zu tolerieren oder alles zu akzeptieren, was uns geboten wird. Aber wir können es vielleicht einmal für möglich halten, dass auch diese Schatten Ausdruck von Menschlichkeit sind. So gesehen ist Social Media auf einer Skala von 1 = sehr menschlich bis 6 = sehr unmenschlich ganz klar eine 1, also sehr menschlich.

Ich möchte das noch einmal mit einem Beispiel illustrieren. Wir regten uns alle gern und häufig über die Twitter-Nachrichten des letzten amerikanischen Präsidenten auf. Vor einiger Zeit hatte ich das Vergnügen, in einem Konzert ein Stück zu hören, mit dem der Komponist Twitternachrichten von Herrn Trump vertont hatte und mit seiner Musik interpretierte. (Für Interessierte: Trump's Lament von Manuel Rösler, http://www.roeslermusic.de) Und plötzlich hörte ich zwischen den Twitterzeilen etwas über den Menschen Trump, die Gefangenschaft im Käfig der eigenen Gedanken oder die Verzweiflung eines Menschen, der versucht, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Die Nachrichten bekamen eine völlig andere, sehr menschliche Konnotation. Das hat mich sehr beeindruckt. Aus Nachrichten, über die wir uns wirklich und zu recht aufregen, scheint die Menschlichkeit hervor.

Zur Menschlichkeit gehört auch, dass Social Media zwei wesentliche Grundbedürfnisse bedient: Das „Dazu-gehören-wollen“ und der Wunsch nach sozialer Kommunikation. Wir wollen dazu gehören, zur Gruppe der Informierten, der Fans, der Eingeweihten und Bevorzugt-Behandelten. Und wir retournieren, in dem wir nett sein wollen und klicken dann den Gefällt-mir-Button, klatschen virtuell Beifall oder kommentieren sogar einen Post.

Dieses Verhalten in Kombination mit den Social Signals im Social Media sprechen unsere Belohnungssysteme stark an. Wir können also oft nicht anders, als uns über Klicks zu freuen und sie für echte Wertschätzung zu nehmen. Das basiert auf physiologischen Prozessen im Gehirn, die nicht unterscheiden, ob Wertschätzung digital oder analog geschieht, ob sie echt oder unecht ist.

Wie menschenfreundlich muss oder vielleicht besser sollte Social Media sein?

Ich habe über diese Frage tatsächlich länger nachgedacht. Die spontane Antwort liegt ja rasch auf der Hand: Klar! Sehr menschenfreundlich natürlich. Aber auch da ist Social Media ein Abbild unserer Gesellschaft und das, was wir als Menschen für wichtig erachten.

Manche Nutzer bemühen sich sehr um Menschenfreundlichkeit und auch um Sachlichkeit in der Information. Sie nutzen Social Media für sachliche Informationen, aktuelle Hinweise und tatsächlich persönlich Bewegendes. Es gibt die, die etwas zu sagen haben – und dabei im Kopf haben, dass auf der anderen Seite kein Roboter sitzt, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Das gilt nicht nur für Privatpersonen, vielleicht unsere Freunde, sondern auch für Unternehmen oder für Institutionen. Aber es gibt auch Nutzer, die ihren Hass, ihre Gier, ihre Menschenfeindlichkeit und Respektlosigkeit über Social Media verbreiten – klar, es ist ja menschlich. Ebenso gibt es Langeweiler. Das gilt auch sowohl für private Nutzer als auch für Unternehmen. Es gibt auch sehr langweilige Unternehmensposts in den sozialen medien.

Aber das Spannende ist: Was der eine sehr langweilig und uncool findet, erzeugt bei der anderen plötzlich ganz starke Resonanzen – und damit geht plötzlich ein Post durch die Decke geht. Oft ist dafür Storytelling verantwortlich. Neurowissenschaftlich betrachtet bedient Storytelling unser Limbisches System. Dieser Teil des Gehirns ist für das adäquate Erkennen und Verarbeitung von Gefühlen zuständig und sorgt z.B. auch für die Ausschüttung von Endorphinen, dem körpereigenen Opium, an dem wir uns in hoch emotionalen Situationen berauschen können. Daher lieben wir Geschichten.

Ist es wichtig, dass sich Unternehmen menschlich präsentieren?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Menschlichkeit lässt uns erkennen: Das ist einer von uns. Diese Wiedererkennung spricht das Bedürfnis der Menschen nach Zugehörigkeit an und stärkt Vertrauen.

Vertrauen ist ja der eigentliche Schmierstoff im Miteinander von Menschen – und das gilt auch und vielleicht sogar gerade für wirtschaftliche Beziehungen, also auch für die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden. Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen funktioniert wirtschaftlich gar nichts. Wir vertrauen automatisch, auch das das liegt in unserer menschlichen Natur. Sofort, gleich mit der Geburt vertrauen wir, dass sich jemand um uns kümmern wird, weil wir als Neugeborene hilflos geboren werden. Dieses Ur-Vertrauen kann auch gestört werden, daher gibt es manchmal später im Leben Probleme mit dem Selbst-Vertrauen. Je weniger Selbst-Vertrauen, desto mehr Bestätigung von außen brauchen wir. Diesen Service der Bestätigung von außen bietet Social Media par excellence.

Unternehmen, die sich menschlich präsentieren, docken also genau an dem Punkt bei ihren Followern an und profitieren vom menschlichen Vertrauen.

Was kann passieren, wenn man in den sozialen Medien Neues ausprobiert?

Social Media ist eine Ergänzung zu den realen offline-Räumen. Unsere Neugierde bringt uns dazu, alles Mögliche im Social Media-Bereich auszuprobieren. Das kann ein Unternehmen im Hinblick auf Experimente im Social-Media-Bereich nutzen.

Der klassische Weg ist, den Social-Media-Kanal so zu wählen, dass die Zielgruppe des Social-Media-Kanals auch tatsächlich die Zielgruppe des Unternehmens ist. Der Marketingmanager muss sich also die Frage beantworten: Finde ich grundsätzlich dort in diesem Kanal die Menschen, die ich suche, bzw. ansprechen möchte?

Es gibt auch eine andere Perspektive: Was kann ich als Unternehmen in diesem Social-Media-Kanal über die Nutzer lernen? Das ist das Vorhaben plötzlich ein Experiment, bzw. eine Expedition. Ich gehe einfach los, lasse mich vom Strom des Kanals erfassen und lernen etwas über die Zielgruppe, gucke, frage, nehme wahr, was diese Zielgruppe möchte. Dann wird das Unternehmen zum Lernenden.

Und welche Rolle spielen Chatbots? Ersetzen sie die menschliche Kommunikation?

Chatbots sind natürlich Hilfen, um hoffentlich schnell zum richtigen menschlichen Gesprächspartner zu kommen. Das ist dann wirklich eine Hilfe.

Als Ersatz für menschliche Kommunikation taugen Chatbots meiner Ansicht nach (noch) nicht, auch nicht beim Einsatz von sogenannter KI. Chatbots im Einsatz können anhand von struktureller Information (hier meist geschriebenes Wort) systematisierte Antworten geben oder weitere Fragen stellen. Bei Sprache ist das für die Algorithmen relativ einfach. Aber das, was die Würze in der menschlichen Kommunikation ausmacht, sozusagen die Seele, ist die Empathie und die Emotion, das Mitfühlen. Das können Chatbots nicht, noch nicht. Machen Sie ruhig einmal Experimente mit Chatbots, Sie können dann erleben, wie rasch sich die Kommunikation im Kreis dreht.

Es gibt Ansätze zu emotionaler, KI-gestützter Kommunikation aus der Altenpflege. Dort gibt es sprechende Roboter, nichts anders als Chatbots, die in der Pflege einsetzt werden, z.B. um Demenzkranke zu unterhalten oder an bestimmte Verhaltensweisen zu erinnern, z.B. wann ich Zähne putzen sollte oder bestimmte Informationen zu geben, an die sich der Demenzkranke nicht mehr erinnert. Das mag uns irritieren, aber es gibt Hinweise, dass es den Demenzkranken wirklich hilft. Diese Roboter können auch Grundemotionen erkennen.

Und vielleicht wird diese Technologie eines Tages auch bei Chatbots Einzug halten. Ob wir dann noch den Menschen von der Maschine anhand des Outputs unterscheiden können? Ich hoffe es und setze meine Hoffnung auf unser feines, seismographisches Gefühl für echte, menschengemachte Kommunikation und Menschlichkeit.

 

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